Gnostica

Portal zur Bewußtseinserweiterung über die Gnosis. Vorbereitung auf den Aufstieg.

Die Äonen

Warum die Äonen entstanden sind

  1. Der Baum. Wie die Wurzel den Baumstamm und anschließend – durch den Baumstamm – die Frucht hervorbringt, zeugte der Vater (die Wurzel) den Sohn (den Baumstamm) und der Sohn die Äonen (die Frucht).
  2. Das Geschenk der Erkenntnis. Die Äonen, die das Pleroma (gr. für „Fülle“) bilden, sind wie der Vater – aufgrund ihrer alles überragenden Größe – unerkennbar. Ihnen wollte der Vater jedoch, obwohl er unerkennbar ist, aufgrund seiner grenzenlosen Güte und Freundlichkeit die Erkenntnis schenken.
  3. Die Äonen sind unvergänglich. Wie der Sohn, existieren auch die Äonen von Anfang an. Sie sind also ungezeugt und daher präexistent. Nach der Manifestation des Sohnes treten der ungezeugte Sohn und das ungezeugte Pleroma aus der Präexistenzebene in die Seinsebene ein, ähnlich wie der ungezeugte Baum und die ungezeugte Frucht dadurch, dass sie aus der Wurzel austreiben, aus der latenten in die aktuelle Existenz eintreten.
  4. Selbsterkenntnis als Zeugungsakt. Die Äonen sind das Resultat der selbstbewundernden Reflexion des Sohnes über sich selbst. Diese Selbsterkenntnis war das Präludium zum nächsten existentiellen Schritt nach der Einheit (der Vater) und der Zweiheit (Vater und Sohn): der Vielheit. Die Myriaden von Äonen sollten die Vollkommenheit des zeugenden Sohns widerspiegeln, der wiederum die Vollkommenheit des Vaters offenbart.

Wie der Mensch sich durch Individuation vom Kollektiv abhebt, war es für den Sohn ein logischer Schritt, sich selbst zu erkennen und weitere Wesen zu zeugen, die ebenfalls vor einer ähnlichen Herausforderung stehen, jedoch unter anderen Zeichen, wie im weiteren Textverlauf klar sein wird.

Wie die Äonen entstanden sind

  1. Die Äonen sind aus Liebe entstanden. Die Äonen sind aus der reinen und unersättlichen Liebe entstanden, die der Vater und der Sohn füreinander empfinden. Es besteht aus unzähligen und unermesslichen Äonen, die eine unzertrennliche Einheit untereinander sowie mit dem Vater und dem Sohn bilden, wie unzählige[1] Küsse,[2] die auch als Momente eines einzigen ewigen Kusses betrachtet werden können. Es ist ein Akt der Selbstliebe in dem der Vater und der Sohn vereint sind. Das ist das Pleroma der Vielen, die Eins sind.
  2. Die Hierarchie der Äonen. Sie existieren vor allen übrigen Äonen und werden deshalb „die Äonen der Äonen“[3] genannt. Auf diesen heiligen und unvergänglichen Geistern ruht der Sohn, da sie sein Wesen und sein Eigentum[4] sind, wie der Vater auf dem Sohn ruht. [5] Die zugrunde liegende Idee hier ist: dass der Sohn das Wesen (οὐσία ousía – Substanz, Wesen, Vermögen, Eigentum) des Vaters ist, nämlich seine nachvollziehbare Manifestation. Das Pleroma stellt wiederum die Manifestation und das Wesen des Sohnes dar, nämlich den Aspekt der Pluralität des göttlichen Wesens und dessen göttlichen Attributen.

Einzigartigkeit der Äonen

Die Äonen sind unzählbar, wie die Qualitäten des göttlichen Wesens es sind. Wie der Vater und der Sohn, sind sie mit Zeugungskraft ausgestattet, dank der aus ihnen weitere ebenfalls zeugungsfähige Äonen in grenzenlosem Ausmaß entstehen. Wie der Vater und der Sohn, benötigen die Äonen keinen Geschlechtspartner, um Nachkommen hervorzubringen. Ihre Gedankenkraft ist zugleich Zeugungskraft. Sie können sowohl sich selbst als auch andere Wesen allein mit der Kraft ihres Gedankens zeugen.

Alle Äonen existieren nach den Bestimmungen und Eigenschaften des Vaters und des Sohnes. Das bedeutet, dass alle Äonen des Pleromas sowohl einander als auch dem Sohn und dem Vater gegenüber absolut loyal verhalten. Die Äonen sind unaussprechlich. Es gibt kein Wort, das sie beschreiben kann. Denn sie wurden, gleich wie Samen, nicht in unsere Welt, sondern in der Höhe[6] erzeugt. Das ist ein Raum ohne Grenzen, voller Freude und Jubel. Die Äonen sind das Pleroma[7], die Fülle des Vaters, dessen Überfluss zur Ursache der Zeugung weiterer Äonen wurde.

Der Plan des Vaters für die Äonen

Die Präexistenz der Äonen. Die Äonen existierten ursprünglich als verborgene Gedanken im Vater, die durch Gnosis zur Selbstverwirklichung gelangen sollten. Sie sind präexistent und entwickeln sich selbständig, wie Spermien, die sich selbst durch Erkenntnis befruchten, denn geistige Wesen erzeugen sich und andere von selbst.

Der Baum der Vollkommenheit

Die erste Formung. Die Äonen erhielten durch den Vater einen zeugungsfähigen Gedanken, der sie innerlich den Namen „Vater“ hören ließ. Diese Erkenntnis führte zur ersten Evolutionsstufe und zur ersten Formung ihrer Identität.

Der Wachstum. Äonen sind anfangs aufgrund ihrer Unkenntnis des Vaters nur potenziell vollkommen. Diese Unkenntnis wird durch die Offenbarung des Sohnes überwunden. Die Entwicklung der Äonen wird mit dem Wachstum eines Embryos verglichen, dessen einzige Aufgabe in der ersten Phase darin besteht, nach dem Vater zu suchen. Der Prozess der endgültigen Formung der Äonen wird mit der Geburt eines neugeborenen Kindes verglichen, das zum ersten Mal seine Eltern erkennt. In diesem Moment erkennen die vollendeten Äonen den Sohn als das Licht der Welt[8] und erfahren somit den Namen des Vaters.

Die Beziehung der Äonen mit dem Sohn und dem Vater

Das Licht des Vaters ist der Sohn, der die Äonen aus ihrer verborgenen Existenz ins Dasein holte und den Äonen ihren Namen gab, was ihre Existenz begründete. Der Vater, der Sohn und das Pleroma sind eins. Wenn die Äonen den Sohn verherrlichen, wird der Vater indirekt auch verherrlicht. Der Sohn erscheint den Äonen am Ende ihres Entwicklungsweges als Licht. Durch das Licht erkennen die Äonen schließlich den Namen des Vaters, durch den sie existieren.

Das Pleroma drückt seine Bewunderung für den Vater schweigend. Daraus entstehen geistige Emanationen gleich Samen, die weitere ewigen Nachkommen zeugen. Wenn die Äonen etwas wünschen, müssen sie weder ihren Wunsch aussprechen noch ihren Willen in Taten umsetzen. Sie zeugen einfach alles, worauf sie Lust haben. Alles, was die Äonen denken und fühlen, das haben sie zu Kindern. Ihre zeugende Kraft setzen sie ein, um einander zu helfen, denn sie haben eine harmoniebedürftige Natur.

Der Vater ist den Äonen derart überlegen, dass diese sofort zugrunde gegangen wären, hätte er sich zuvor offenbart. Daher zog er sich zurück und blieb über jeden Verstand erhaben.

Indem er sich im Sohn ausdehnte, wurde dieser zu einem Lebensraum für alle Äonen. Aus Mitgefühl beschenkte und bereicherte der Sohn, auch bekannt als Vater des Alls, die Seienden mit der Sehnsucht nach dem Vater. Ihr Reichtum besteht darin, dass sie verstehen, dass es etwas gibt, das über sie hinausgeht, und folglich danach suchen.

Der Vater hat den Äonen seinen Sohn als Nahrung, Genuss und Freude geschenkt. Der Sohn ist alles. Er ist derjenige, dessen Identität bekannt ist, während er als Gewand für den dient, dessen Identität unbekannt ist.

Der Sohn als Name des Vaters und seine Namen

Der Vater kann nicht gedanklich erfasst werden. Alle Namen, die verwendet werden, um ihn zu benennen, sind letztlich nur Spuren auf der Suche nach ihm. Der Sohn, der aus dem sich ausdehnenden Vater hervorging, verkörpert all die Namen und die damit verbundenen Eigenschaften des Vaters. Er ist der wahre Urmensch, der erste und einzige Mensch des Vaters. Hier einige seiner Namen:

„Die Gestalt des Gestaltlosen“. „Das Wort des Unaussprechlichen“. „Die Weisheit für die, die er weise gemacht hat“. „Die Kraft für die, denen er Kraft gibt“. „Das Auge der Sehenden“. „Das Leben der Lebendigen“.

Alle Namen des Sohnes, die letztlich dessen Eigenschaften sind, sind im einzigen Namen des Vaters vereinigt und bilden ein Gewand. Der Sohn existiert folglich als derjenige, der alle im Namen des Vaters vereinigten Namen als Gewand trägt.

Dieser Name wird den Äonen nie genannt. Sie kennen ihn daher nicht. Sie haben aber den Sohn und können dem Namen des Vaters durch die Namen, die der Sohn als Gewand trägt, auf der Spur sein, und so ihre Einheit mit ihm und dem Sohn vertiefen. Auf eine Weise, die nicht leicht nachzuvollziehen ist, sind diese Namen, wie bereits gesagt, auch der Name des Vaters.

Die Harmonie des Pleromas

In der Fülle Gottes hat jede „Komponente“, auch die relativ winzigste, eine enorme Bedeutung. Harmonie entsteht nur aus der Übereinstimmung zwischen dem Mittelpunkt und allen im äußeren Bereich liegenden Komponenten. Daher ist die totale Abwesenheit von Konflikten jeglicher Art als Gleichklang und Einheit in der Vielfalt unabdingbar.

Der Vater existiert daher in einem perfekten Pleroma, das aus der Einheit aller Äonen, die seine Eigenschaften und seine Namen sind, besteht. Während die einen sich erst in der Phase der kollektiven Verherrlichung befinden, sind die anderen schon in der Phase der Zeugung inbegriffen. Schließlich gibt es diejenigen, die einen autonomen Willen entwickelt haben und daher selbstständig und vollkommen reif geworden sind.

Es handelt sich beim Wachstumsprozess der Äonen im wesentlichen um den Reifungsprozess des Individuums, in diesem Fall eines Äons, das auf dem Weg der eigenen Vervollkommnung verschiedene Phasen quasi nach dem Motto „Werde, was du bist“[9] durchgeht und wie folgt zusammengefasst werden kann: (1) Erkenntnis der eigenen Existenz und der Existenz einer Ursache der eigenen Existenz; (2) Erkenntnis der eigenen schöpferischen Kraft als Gabe desjenigen, der die Ursache der eigenen Existenz ist; (3) Erkenntnis eines eigenen autonomen Willens und Entwicklung einer eigenen Weisheit, um den eigenen Willen in Übereinstimmung mit den Zielen der Ursache der eigenen Existenz umzusetzen.

Deswegen sind sie Verstandeskräfte von Verstandeskräften; sie werden erfunden werden als Worte von Worten, als Älteste von Ältesten, als Stufen von Stufen, die verschieden hoch sind im Vergleich zueinander; und jeder von denen, die Lobpreis spenden, hat seinen Platz, seine Höhe, seine Wohnung[10] und seine Ruhe, die in dem Lobpreis besteht, den er hervorbringt.

Durch die Entfaltung der schöpferischen Kräfte innerhalb der äonischen Welt entsteht das Pleroma, die Fülle des Vaters. Aus den ursprünglichen Äonen strömen nämlich weitere Äonen aus. Diese vermehren sich grenzenlos weiter, bis das so entstandene Pleroma aus unzähligen Äonen und deren Nachkommen besteht. Es sind schöpferische Worte, die weitere ebenfalls schöpferische Worte zeugen.

Alle sind im Vergleich zueinander verschieden hoch. Die Kräfte variieren sehr stark. Dementsprechend hat jeder von denen, die Lobpreis spenden, seinen Platz, seine Höhe, seine Wohnung und seine Ruhe, die in dem Lobpreis besteht, den er hervorbringt. Es ergibt sich eine hierarchische Verteilung der Äonen innerhalb des Pleroma.

Unterschied zwischen den Äonen und den kosmischen Mächten

All die Äonen, die den Vater verherrlichen, besitzen ihre grenzenlose und unermessliche Zeugungen ewiglich. Und sie helfen sich dabei gegenseitig, denn nur durch ein vereintes Handeln, das die Macht des einzelnen Äons übersteigt, sind Zeugungen, die die unbegrenzte Natur des Vaters manifestieren, möglich.

Was den Vater betrifft, gibt es keinen Neid seinerseits gegenüber denen, die aus ihm hervorgegangen sind, darum dass sie zeugen wie er und nach seinem Vorbild; nicht nur weil der Vater die absolute Neidlosigkeit besitzt, wie bereits erwähnt, und, weil es überhaupt keinen Grund gibt, neidisch zu sein, sondern weil es der Vater selbst ist, der in allen und in ihrer Tätigkeit immer präsent ist, durch sie zeugend und sich offenbarend.

Wen immer er will, den macht er zum Vater – sie, deren Vater er selbst ist – und zum Gott – sie, deren Gott er selbst ist –, die macht er zum All – sie, deren All er selbst ist.

Diese großen Namen – Vater, Gott, das All – gelten eigentlich den transzendenten Äonen des Pleroma, obwohl sie verwendet werden, um Götter, Engel und Archonten des Kosmos zu bezeichnen, die in Wirklichkeit nur Schatten der ewigen Wesen sind.

Das Pleroma sucht nach dem Vater

Im Gegensatz zur kosmischen Organisation ist die gesamte Einrichtung der Äonen von Liebe für den Vater und Sehnsucht nach ihm geprägt. Es ist dieses gemeinsame Unternehmen, die Suche nach vollkommener Erkenntnis des Vaters, das sie in einer rein geistigen und unbefleckten Vereinigung verbindet.

Der Vater offenbarte sich zwar den Äonen, damit die sie und seine Existenz erkennen. Er wünschte aber nicht vollständig und für die Ewigkeit erkannt zu werden.

Er gab sich ihnen als einen Anstoß zur Reflexion, damit sie stets auf der Suche nach ihm sind, während er diesen unergründlichen Aspekt von sich selbst, durch den er präexistent ist, für sich behält.

Der Vater hat die Äonen mit Erkenntnisvermögen ausgestattet und den Weg gezeigt, wie sie von ihrem Erkenntnisvermögen auf sinnvolle Weise Gebrauch machen können. Letztlich liegt es aber bei ihnen, da sie über einen autonomen Willen verfügen, ihre Suche durch eigene Anstrengungen voranzutreiben.

Der Vater hat den Äonen die Initialzündung gegeben, damit sie sich auf den Weg machen, der zu ihm führt, wie zu einer Schule des rechten Verhaltens.

Sie sind in dieser Reise nicht nur die Reisenden, sondern auch Stationen entlang des Weges, denn die Erkenntnisse, die sie während der Reise gewinnen, sind Ruhestätten für andere Suchende, denen das zugute kommt, was sie erreicht haben.

Er hat ihnen den Glauben an etwas Unsichtbares geschenkt, im Vertrauen, dass das, woran man glaubt, existiert, und in der festen Hoffnung auf den, den man nicht begreift.

Ihre Liebe ist keine vergängliche Liebe des Augenblicks, sondern eine fruchtbare Liebe, die hinblickt auf das, was sie nicht sieht; ein für alle Ewigkeit erfreuliches Verständnis des Geistes (Erkenntnis). Er segnete sie mit Reichtum und Freiheit sowie mit der Weisheit von jemandem, der sich in seinen Gedanken nichts so sehr wünscht als die Herrlichkeit des Vaters.

 

 Der Geist

Die Äonen erkennen den erhabenen Vater, weil er es will, dass sie ihn erkennen. Daraus lässt sich ableiten, dass die Suche nach Gott von Gott selbst angeregt wird.

Der Glaube ist ein Geschenk Gottes, wie ein Same, der durch die richtige Pflege Früchte trägt.

Der Wille des Vaters, erkannt zu werden, ist der Geist, der im All weht,[11] der letztlich der Sohn ist. Er ist es, der die Gedanken der Äonen dazu anregt, nach dem unerkennbaren Vater zu suchen, wie jemand, der von einem betörenden Duft erfasst alles geben würde, um die Duftquelle zu finden[12].

Sie sind einer mächtig einhauchenden Kraft aus der Höhe ausgesetzt, der Anziehungskraft des Geistes. Diese Kraft ist so stark, dass es ihnen nicht möglich ist, sich durch Abschalten der Gedanken vom Ruheplatz, in dem sie sich befinden, abzuwenden. Dort werden sie nämlich auf unaussprechliche Weise erneuert.

Sie schweigen, weil es keine Worte gibt, um die Herrlichkeit des Vaters zu beschreiben. Anbetung wird im Schweigen praktiziert. Der Vater aber, der reden kann, damit sie in ihm gestaltet werden, offenbart sich in ihnen, obwohl er selbst nicht beschrieben werden kann.

Der Vater ist derart tief in ihren Gedanken verborgen, dass sie nur schweigen können über ihn, seine Gestalt, seine Art und seine Größe. Ihnen wurde aber gnädig gewährt, zu erkennen, dass der Vater weder benennbar noch erreichbar ist.

Es ist nicht nur aufgrund ihrer Fähigkeiten, dass die Äonen den Vater begreifen und über ihn reden können, sondern hauptsächlich, weil er es ist, der sich ihnen zum Begreifen hingibt. Sein Geist ist nämlich die Spur, der sie bei ihrer Suche nach ihm folgen.

Jeder einzelne Äon ist ein Name und eine Eigenschaft und eine Kraft des Vaters. Für sich allein kann kein einziger Äon den Vater benennen, aber die Gesamtheit aller in Verbindung und Übereinstimmung existierenden Äonen kann den Vater durch die nie enden wollende Ausdruckskraft der Hymne [des Reichtum des Wortes], die von dieser Gesamtheit ausgeht, benennen, denn solche Gesamtheit bildet die unzähligen Eigenschaften und Namen des Vaters und bringt somit seinen einzigen Namen zum Ausdruck.

Die Einzigartigkeit der Triade – Jede „Komponente“ der Triade ist einzigartig: Der Vater ist einzigartig, weil er der Eine ist. Der Sohn ist einzigartig, weil er die erste und einzige Manifestation des Vaters ist. Das Pleroma ist einzigartig, weil es die vielfältige Manifestation des Sohnes ist, welcher wiederum die einzige Manifestation des Vaters ist. Alle sind eins. Eine ist alle. Es gibt keine ohne die anderen. Sie stehen zueinander wie die Wurzel, der Baumstamm und die Früchte zueinander stehen.

 

Die Natur der Probole [Emanation]

Alles, was existiert, ist eine Emanation des Seienden. Die Emanation existiert nicht getrennt vom Seienden, sondern ist eine Ausbreitung von ihm und bleibt als solche mit ihm noch verbunden, unabhängig davon, wie weit von der Quelle sie sich befindet.

Das All und alle Wesen, aus denen es besteht, sind aufgrund ihrer Ausströmung aus dem Vater und ihrer Verbindung mit ihm Gegenstände seiner Liebe, die letztlich zu ihm zurückkehren werden, weil sie in der einen oder anderen Form eins sind mit ihm. Ihre Rückkehr erfolgt durch einen Selbstverwirklichungsprozess, der sie aus dem ausgebreiteten Zustand zur Einheit mit ihm führt.

Äonen sind Seienden und zugleich Seinsebenen. Sie zu definieren ist genauso schwierig wie den Vater definieren zu wollen. Der gegenwärtige Äon – der Äon also, in dem die Menschen existieren – ist zwar ein einziger, aber er ist in zeitlichen Abschnitten teilbar, die sich wiederum weiter teilen lassen in: Jahre, Jahreszeiten, Monate, Tage, Stunden, Minuten, Sekunden und so weiter.

Ähnlich ist der Äon der Wahrheit – der Äon also, in dem die höchsten Wesen existieren – ein einziger und vielfältig zugleich. Die Vielfalt besteht nicht in zeitlichen Abschnitten, wie es beim gegenwärtigen Äon der Fall ist, sondern in der Verherrlichung der ihm eigenen kleinen und großen Namen, die sich in dem Maße entfaltet, in dem jeder einziger der aus ihm ausgeströmten Äonen fähig ist, ihn zu erfassen.

Man kann sich das System der Emanationen auch wie folgt vorstellen: wie eine Quelle, die unverändert bleibt, während aus ihr Ströme, Seen, Flüsse, Kanäle usw. ausströmen; wie eine Wurzel, die sich unter Bäumen und Zweigen erstreckt mit den Früchten des jeweiligen Baumes; wie der menschlicher Körper, der ein einziger Organismus ist, obwohl er in Glieder und Glieder von Gliedern, in erste und letzte, in große und kleine Glieder unterteilt betrachtet werden kann.

Durch den Vergleich des „gegenwärtigen Äons“ als verständliches Paradigma für astronomische Perioden und Zahlen und für den Begriff von Zeit als ein Kontinuum, das dennoch geteilt ist, mit „dem wahren Äon“ will der Autor des Tractatus Tripartitus die hierarchische Struktur des Pleromas als „Einheit in der Vielfalt“ hervorheben. Der „wahre Äon“ ist natürlich ewig und kann daher nicht im gleichen Sinne wie die endliche Zeit teilbar sein. Die Teilung erfolgt in diesem Fall also durch Verherrlichungsgrade statt Zeitabschnitte.

 

Die Autonomie und Weisheit der Äonen

Das Pleroma ist eine Hierarchie, in der jeder Äon eine bestimmte Position entsprechend einer bestimmten Erkenntnisstufe einnimmt.

Der einzelne Äon kann jedoch zu einer höheren Stufe aufsteigen, wenn er seinen Willen zum Ausdruck bringt, den Vater zusammen mit dem gesamten Pleroma oder mit einem fortgeschritteneren Äon zu verherrlichen.

Die Betonung des Willens scheint hier zu implizieren, dass ein solcher Akt der Anbetung eine freie Entscheidung des Äons darstellt, und, da eine stille Anbetung gemeint ist, dass die Gesinnung des Anbetenden um so wichtiger ist.

Während dieses Aufstiegs, der einer Wiedergeburt gleichkommt, spielt der höherrangige Äon die Rolle des Partners in einer heiligen Ehe und des Mystagogens.

Durch das befruchtet, was von seinem fortgeschritteneren Bruder zu ihm kommt, bewirkt der Äon seine eigene Wiedergeburt und Erneuerung. Der gefallene Logos hatte vermutlich einen solchen Bruder, der mit ihm eine Syzygie bildete und ihm nach dem Fall half, indem er den erhabenen Anteil des Logos zu sich nahm.

Denn innerhalb des Reichs der Fülle [Pleroma] ist dem Reden eine Grenze [Horos] gesetzt, damit sie über die Unerreichbarkeit des Vaters schweigen, aber doch darüber sprechen, dass sie ihn erreichen wollen.

Die Grenze (Horos) liegt sowohl zwischen Pleroma und Kenoma als auch zwischen dem Vater und dem Pleroma. Über die Unerreichbarkeit des Vaters zu sprechen ist also tabu. Disziplin ist unabdingbar.

 [1] ET, 274: Einar Thomassen, The Tripartite Tractate from Nag Hammadi – new translation with commentary, 1982: Das Pleroma ist der Aspekt der an der Selbsterkenntnis, Selbstverherrlichung und Selbstliebe des Vaters und des Sohnes beteiligten Pluralität. … Die Valentinianer betrachteten die Vielfalt als solche nicht als Übel; ihre Vorstellung von Vollkommenheit ist eine Vielheit, die zugleich Einheit ist. Etwas anderes ist aber die Fragmentierung, vgl. ExcTh 31d.

[2] Das eindrucksvolle Bild des Vaters und des Sohnes, die einander küssen und so das Pleroma hervorbringen, ist unübertrefflich. EV 41:23-34 beschreibt die Vereinigung des Vaters mit seinen Emanationen in Form einer Umarmung. EvPhil 31 beschreibt eine geistige Zeugung durch einen Kuss. Eugnostos 81:7-10: der Kuss der Engel, der andere Engel hervorbringt.

[3] Dieser Ausdruck scheint eine erste Generation von Äonen zu bezeichnen, die selbst die Quelle anderer Äonen sind. Dies ist jedoch nicht so zu verstehen, dass eine klar definierte Taxonomie von Äonen wie in den 30-Äonen-Systemen impliziert wird, da die Äonen hier zahllos und unteilbar sind. Vielmehr ist die Zeugung Teil der Natur der Äonen.

[4] Joh 1:11 Er kam in sein Eigentum …; auch mit „Wesen“ übersetzbar.

[5] Mt 11:29

[6] Joh 3:3 3 Jesus antwortete ihm: Amen, amen, ich sage dir: Wenn jemand nicht von oben geboren wird, kann er das Reich Gottes nicht sehen.

[7] Kol 2:9

[8] Joh 8:12; 9:5; 12:46

[9] Auf den griechischen Dichter Pindar (522 v.Chr. – 445 v.Chr.) zurückgehendes Zitat

[10] Joh 14:2 Im Hause meines Vaters sind viele Wohnungen. Wenn es nicht so wäre, würde ich euch gesagt haben: Ich gehe hin, euch eine Stätte zu bereiten?

[11] Davon redete Jesus in Joh 3,8: „der Wind weht, wo er will, und du hörst sein Sausen, aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er geht;“ (Wind = Geist, siehe Fußnote zu 66:27-28)

[12] Mt 13,44-46

Die Äonen

Schwerpunkte des Gnostizismus

Einleitung

DIE GNOSIS

DER ANFANG (DAS ALPHA)

  1. Der Vater
  2. Der Sohn
  3. Die Äonen

DER FALL

  1. Sophia
  2. Der Herrscher dieser Welt
  3. Der Mensch

DIE UMKEHR

  1. Die Reue der Sophia
  2. Die Mission des Sohnes
  3. Die drei menschlichen Gattungen

DIE ERLÖSUNG

  1. Der Erlöser
  2. Die Erlösung

DAS ENDE (DAS OMEGA)

  1. Aufstieg und Wiederherstellung

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Nach oben scrollen
WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner