Gnostica

Portal zur Bewußtseinserweiterung über die Gnosis. Vorbereitung auf den Aufstieg.

Der Vater

Schöpfung versus Emanation

In der Gnosis gibt es einen höchsten, wahren und transzendenten Gott, der über das All steht. Dieser Gott hat nie im herkömmlichen Sinne etwas „erschaffen“, sondern er hat die Substanz aller sichtbaren und unsichtbaren Welten durch Emanation aus sich selbst hervorgebracht. Man kann also in gewisser Hinsicht sagen, dass alles (das All) Gott ist, weil alles aus Gottes Substanz hervorgeht. Diese Konzeption widerspricht der Theorie der Schöpfung aus dem Nichts (lat. creatio ex nihilo), denn Emanation und Schöpfung sind nicht identisch. Emanation (abgeleitet vom Lateinischen emanatio „Ausfließen“, „Ausfluss“) bezeichnet das „Hervorgehen“ von etwas aus seinem Ursprung, das es aus sich selbst hervorbringt. Es wird dabei metaphorisch auf die Vorstellung des Ausfließens von Wasser aus einer Quelle oder der Lichtausstrahlung aus einer Lichtquelle verwiesen. Die Schöpfung aus dem Nichts (creatio ex nihilo) ist hingegen ein kulturelles Konstrukt, das sich von selbst widerspricht: „Von Nichts kommt nichts”, heißt es schon bei dem römischen Philosophen Lukrez. Und die Mormonen lehren, dass der biblische Gott das Universum aus vorher schon existierender Materie organisiert habe.

Die Gnosis spricht von Gott als von einem verborgenen, unsichtbaren, unbekannten Gott (der deutsch-amerikanische Philosoph Hans Jonas benannte eines seiner Bücher „Gnosis: Die Botschaft des fremden Gottes“). In der Gnosis wird Gott dennoch als „Vater“ bezeichnet. Nicht nur, weil Jesus der erste war, der Gott seinen Vater nannte, sondern auch, weil [der wahre] Gott der einzige ist, der den Anforderungen dieser Bezeichnung vollständig gerecht wird.

Die nachfolgenden Ausführungen zu ausgewählten Passagen des Tractatus Tripartitus (TracTrip) und des Apokryphon des Johannes (AJ), zwei Schriften der Nag-Hammadi-Bibliothek,[1] geben einen Einblick in die Gründe, warum Gott in der Gnosis als Vater angesehen wird, sowie Hinweise dazu, wie eine Vorstellung von Gott aussehen könnte.

Gründe, warum Gott „der Vater“ genannt wird

Der Vater ist ungezeugt. Er wurde nicht gezeugt oder auf andere Weise geschaffen. Es gibt niemanden, den er zum Vater hat. Jeder herkömmliche Vater in der Welt hat selbst einen Vater bzw. einen Schöpfer, der ihn gezeugt hat. Ein solcher Vater oder Schöpfer ist in Wahrheit keiner von beiden, denn es kann nur einen Vater und Gott geben, den niemand gezeugt hat und alles gezeugt hat.

Er ist der Erste und Einzige. Der Vater existierte bereits, bevor irgendjemand anderer existierte. Er ist der Allererste. Es gibt von Anfang an nichts und niemanden bei ihm. Da er der Erste ist, ist er auch der eine und einzige Ursprung von allem Existierenden, ähnlich wie die Zahl eins keine gewöhnliche Zahl im Sinne von 1, 2, 3, usw. ist, sondern der Ursprung aller Zahlen. Aus diesem Grund wird der Vater auch „der Eine“ genannt. Er ist zugleich eine Vielzahl. Denn der Vater enthält das All als dessen Ursprung, während er eins bleibt, ähnlich wie die Wurzel den Baum mit seinen Zweigen und Früchten enthält. Alle Gegensätze sind potenziell in ihm enthalten: Einheit und Vielheit, Männliches und Weibliches. Da er der einzige seiner Art ist, kann ihn niemand nachahmen. Er ist unnachahmlich.

Animation: Der Prozess der Emanation.

Der Vater ist unaussprechlich

Generell kann man vom Vater nicht sagen, was er ist (kataphatische Theologie), sondern nur, was er nicht ist (apophatische Theologie), da es unmöglich ist, das Absolute mit Worten zu fassen. Welche Eigenschaften des Vaters können also auf „negative“ Weise beschrieben werden?

Er ist unendlich, weil er keinen Anfang und kein Ende hat.

Er ist unvergänglich, weil er ungezeugt ist, wie oben beschrieben.

Er ist unveränderlich, da es niemanden gibt, der vor ihm existierte und ihn verringern oder anderweitig verändern könnte. Er ist wirklich der Unwandelbare und der Unveränderliche.

Er ist unerschütterlich, weil er ewig und unveränderlich ist. Niemand kann ihn von dem abbringen, was er ist, oder ihn dazu bringen, etwas gegen seinen Willen zu tun. Niemand kann ihn von dem entfernen, worin er ist, oder von dem, worin seine Größe besteht.

Wie der Vater keinen Anfang und kein Ende hat, was sein Sein betrifft, so ist er

in seiner Größe unerreichbar

in seiner Weisheit unaufspürbar

in seiner Macht unfassbar

in seiner Freundlichkeit unerforschlich.

Vollkommen makellos – Nur der ungezeugte und vollkommen makellose Vater ist gut (Mt 19:17). Er ist „der immer Gute als derjenige, der Gutes gibt, als derjenige, der Gutes tut; nicht dadurch, dass er besitzt, sondern dadurch, dass er gibt – das Erbarmen, das sich erbarmt; die Gnade, die Gnade – nämlich das unermessliche Licht – gibt.“ (AJ) Er ist mit allen von ihm hervorgebrachten Emanationen, Tugenden und wertvollen Dingen gefüllt. Er braucht das Leben nicht, da er ewig ist. Er braucht nichts, da er nicht vollendet werden kann. Er ist die ewige Vollendung. Er ist Licht.

Neidlos – Der Vater ist vollständig neidlos. Er gibt alles, was er hat, ohne Grenzen und ohne deswegen ärmer zu werden oder Schaden zu nehmen. Er ist reich an dem, was er gibt, und findet Befriedigung in dem, was er schenkt.

Es gibt keinen Ort, in dem er sich befindet oder aus dem er kommt, und keinen Ort, zu dem er zurückkehren wird; keine Urform, deren er sich bei seinem Wirken als Vorbild bedient; keine Mühe, die er als Begleiterscheinung dessen, was er tut, hat; keine Materie, die ihm vorgegeben ist und aus der er schafft, was er schafft; keine Substanz in seinem Inneren, aus der heraus er erzeugt, was er erzeugt; keinen Gehilfen, der mit ihm an dem wirkt, woran er wirkt; keine Namen, die ihn auch nur annähernd beschreiben können, selbst wenn solche Namen beim Versuch, ihn zu ehren, nach menschlichen Maßstäben überaus glanzvoll und ehrend und herrlich wirken.

Der Vater befasst sich nur mit sich selbst. Dies liegt daran, dass er unbegrenzt ist. Unbegrenzt sein bedeutet, nicht von etwas begrenzt zu werden. Doch wenn Unbegrenztes mit Begrenztem in Kontakt kommt, würde dies geschehen. Das bedeutet jedoch nicht, dass Gott die Menschen nicht hört oder sie ignoriert. Der Vater ruht im Schweigen [gr. σιγή = Schweigen, Stille] zurückgezogen und verborgen (Mt 6:4.6.18).

Der Vater hat keine Gestalt, die man im Streben nach Erkenntnis in Betracht ziehen könnte, da er auch für die Fantasie unerreichbar ist.

Seine Unerreichbarkeit impliziert seine Unerkennbarkeit. Das Aussehen des Vaters ist für keinen Verstand erfassbar, für keine Rede darstellbar, für kein Auge sichtbar und für keinen Körper wahrnehmbar. Dies liegt an seiner unaufspürbaren Größe, unerreichbaren Tiefe, unermesslichen Höhe und unfassbaren Weite.

Der Vater „existiert als reines Licht, in das kein Augenlicht schauen kann. Er ist der Geist.“ (AJ)

[1] Paraphrasierte Zitate. Quelle: Schenke, H., Bethge, H. & Kaiser, U. U. (2001). Nag Hammadi Deutsch: Bd. NHC I,1-V. 1. de Gruyter.

Schwerpunkte des Gnostizismus

Einleitung

DIE GNOSIS

DER ANFANG (DAS ALPHA)

  1. Der Vater
  2. Der Sohn
  3. Die Äonen

DER FALL

  1. Sophia
  2. Der Herrscher dieser Welt
  3. Der Mensch

DIE UMKEHR

  1. Die Reue der Sophia
  2. Die Mission des Sohnes
  3. Die drei menschlichen Gattungen

DIE ERLÖSUNG

  1. Der Erlöser
  2. Die Erlösung

DAS ENDE (DAS OMEGA)

  1. Aufstieg und Wiederherstellung

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